Der Ostsee-Grenzturm

Der eine oder andere Gast im Ostseebad Kühlungsborn geht kopfschüttelnd an dem tristen Turm nahe der Seebrücke vorbei,
ja sogar Beschwerden über den Turm im Stadtbild gab es schon. Doch der Grenzturm ist ein Stück Schattengeschichte aus der
DDR-Zeit und hat viele Geschichten zu erzählen, die auch erzählt werden müssen.

Bis „1961 – bevor die Mauer gebaut wurde, konnte man die Fischer Westendorf und Voss beobachten, wie sie mit ihren größeren Booten – geschmückt mit Lampions – romantische Abendfahrten für die Urlaubsgäste machten, das war ein schöner Anblick,“ berichtet Knut Wiek, Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins Ostsee-Grenzturm. Nach dem Bau der Mauer durfte man dann nicht mehr tauchen, nicht mehr weit hinausschwimmen und schon gar nicht nachts mit einem Fischerboot auf die See fahren. Die einzigen Lichter im Wasser, waren die grellen Scheinwerfer der Grenzpatrouille auf der Suche nach Grenzgängern.

Im Mai 1972 wurde der 15 Meter hohe Grenzturm im Ostseebad Kühlungsborn, zusammen mit 27 weiteren an der Ostseeküste stehenden Türme, errichtet. Heute sind noch zwei erhalten – hier und in Börgerende (~ 8 km östlich von Kühlungsborn). Begehbar ist heute nur noch der Kühlungsborner Grenzturm. Im Zuge der Wiedervereinigung kam im Ostseebad die Diskussion auf, ob solch ein Statussymbol der DDR weiterhin stehen bleiben sollte. „Der geplante Abriss des Grenzturmes hat damals ganz schön große Wellen geschlagen, aber er ist ein Teil der Stadtgeschichte und daher habe ich mich auch persönlich dafür eingesetzt, dass er erhalten bleibt.“, erzählt Knut Wiek, der von 1990 bis 1995 Bürgermeister im Ostseebad Kühlungsborn war. Durch zahlreiche Spenden, ehrenamtliche Helfer, Fördergelder und Mittel der Stadt wurde der Grenzturm im Laufe der Jahre saniert und zu einem beeindruckenden kleinen Museum hergerichtet. Zukünftig soll auch der Grenzturm in Börgerende rekonstruiert werden. „Der Ostsee-Grenzturm Verein“ unterstützt die Gemeinde bei diesem Projekt. Nach der Sanierung planen wir geführte Wanderungen zwischen den beiden Grenztürmen.“, berichtet Knut Wiek.

Zurück in die Jahre nach 1972: Der Turm war mit bis zu zwei Soldaten besetzt, die Tag für Tag ein 12 Seemeilen großes Gebiet absuchten. Per Telefon und Funk waren sie ständig mit der Grenzkompanie verbunden und konnten Hubschrauber, Suchpatrouillen sowie Grenzund Marineschiffe über mögliche Fluchtversuche informieren. Die mit Maschinenpistolen ausgestatteten Soldaten konnten bis zu einen Windstärke 6 auf dem Turm bleiben, da dieser aus einem festen Fundament besteht – mit 11 festverschraubten mit Stahlstäben verstärkten Betonröhren. An dem oberen Ende ist eine Kanzel mit 360° Panoramafenster.

Die DDR war damals sehr gutausgestattet und die Ostseeküste wurde von damaligen NATO-Abgeordnete als bestbewachte Küste der Welt bezeichnet. 32 damals hochmoderne und sehr schnelle Boote des sowjetischen Typs „Condor“ lagen vor der Küste und passten darauf auf, dass niemand die unsichtbare Grenze zwischen der DDR und der restlichen Welt überquerte. Die BRD hingegen besaß nur 8 Schnellboote. Des Weiteren waren die Grenztürme der realsozialistischen Diktatur bestens mit hochelektronischen Geräten ausgestattet. Die Radare konnten auf dem Meer noch Gegenstände in Größe eines Autoreifens erkennen und aufspüren. DieFlucht aus dem hochüberwachten Gebiet war also sehr schwer. Trotzdem wurden über 5600 Fluchtversuche gestartet. Von diesen schafften es gerade einmal 913 in den schützenden Westen. Etwa 200 Fluchtversuche endeten mit dem Tod der Flüchtenden, denn die Flucht über die hohe See war kein Katzensprung. Motorbetriebene Boote konnte man damals nicht verwenden, da sie zu viel Lärm machten. Das einzige, was als zur Flucht übrigblieb, waren kleine schwimmende Transportmittel und die eigene Kraft. Jegliches Benutzen von Booten war bereits verdächtig und Mitarbeiter der Feriendienste waren dazu verpflichtet, ihren Vorgesetzten zu melden, wenn ein Feriengast ein Schlauch- oder Faltboot besaß und sich damit in Kühlungsborn aufhielt. Einen sicheren Besuch bei der Deutsche Volkspolizei (DVP) erwartete diejenigen, die unangemeldet ein Boot – meist mit dem Molli – nach Kühlungsborn brachten. Wer sich länger als zwei Tage auf einem Grundstück in Grenznähe aufhielt, musste sich laut der Meldeordnung der DDR und Grenzverordnung innerhalb von 24 Stunden bei der DVP melden.

Trotz all dieser und weiterer Sicherheitsmaßnahmen der Grenze, versuchten immer wieder Menschen aus der gesamten DDR (auch Kühlungsborner), das Land zu verlassen und in den damaligen Westen zu gelangen. Die Hauptziele der Flüchtlinge waren die Küste Schleswig-Holsteins, die Insel Fehmarn und Dänemark.

Die meisten hofften darauf, noch während ihrer Flucht auf den internationalen Seefahrrouten auf ein Schiff zu stoßen, das sie von der Grenze der DDR fortbrachte. Manche hatten Glück, andere wurden von der Besatzung den Behörden der DDR ausgeliefert. Um die Seegrenze zu überqueren, wurden die Menschen immer kreativer. So baute sich der ehemalige Ingenieurstudent Bernd Boettger einen Aquascooter- einen bumgebauten Fahrradmotor, der ihn durch das Wasser ziehen soll. Fünf Jahre tüftelt er an seinem Scooter, wurde dabei 1967 ertappt wie er die Grenzpatrouillen beobachtet und deren Rhythmus herausfinden möchte. Er kommt für drei Monate in ein Stasi-Gefängnis zur Untersuchungshaft, bevor ihn das Urteil zu einer achtmonatigen Haftstrafe ereilt. Doch Boettger lässt sich nicht abschrecken, er erneuert und verbessert sein selbstgebautes Fluchtmittel, sodass er 1978 erneut mit Flossen, Schnorchel und einem aus dem Westen stammenden Neoprenanzug ausgestattet einen weiteren Fluchtversuch startet. Der kleine Motor zieht ihn unter der Wasseroberfläche mit 5 km/h durch das Wasser. Nach fünfeinhalb Stundenentdeckt er das Feuerschiff „Gedser Rev“ und wird an Bord gezogen. Für seinen Wasserscooter meldet er Patent an und verkauft diese Serienreif an Wassersportler und sogar die US Navy.

Einen der berühmtesten Fluchtversuche startete der in Rostock geborene Arzt Peter Döbler am 26.07.1972. Zwei Jahre bereitete er sich mit hartem Training auf seine Flucht vor, denn sein Plan war esdie DDR schwimmend zu verlassen. Nur mit Flossen, Taucheranzug und Kompass ausgestattet, wollte Döbler die 40 km lange Strecke von Kühlungsborn nach Fehmarn schwimmen. Nach 25 Stunden nahm ihn ein Boot auf. Die schwierige und lange Strecke schaffte er einzig und allein mithilfe von Tabletten, die seinen Willensstärke. Nach eigenen Aussagen Peter Döblers summte er Lieder vor sich hin, um keinen physischen oder psychischen Tiefpunkt zu erleiden.

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