„Wanderlust“ von Wolfgang Stelljes

Vom Ostseebad ins „Mittelgebirge“ erschienen in der Ausgabe 06.2018 des Magazins „Wanderlust“ von Wolfgang Stelljes

Die Kühlung, ein Höhenzug in Mecklenburg, gilt als „Das kleinste Mittelgebirge Nord-Deutschlands“. Eine Wanderung verspricht herrliche Ausblicke auf die Ostsee.

Birgit Grote lebt leidenschaftlich gern in Kühlungsborn, seit 2010 schon. Und, ja, sie versteht die Begeisterung vieler Urlauber für das größte Ostseebad Mecklenburgs mit seiner langen Promenade, der Seebrücke und der Bäderarchitektur. Was die Wanderführerin bei aller Liebe für Kühlungsborn aber nicht versteht: Dass so viele Gäste den Ort kaum verlassen. Nicht einmal jeder vierte Gast geht wandern. „Das, was die Region ausmacht, das Hinterland, sehen viele nicht“, sagt die 58-Jährige. „Gerade außerhalb der Saison ist Wandern angesagt.“


Gleich drei Ziele liegen quasi vor der Haus- oder Hoteltür: der Stadtwald, das Naturschutzgebiet Riedensee und die Kühlung. Wer nur ein wenig Ruhe sucht, findet sie gleich um die Ecke, im Stadtwald: „Da ist fast kein Mensch“. Bei einer Fläche von 133 Hektar birgt der Stadtwald bereits ein leichtes Risiko, sich zu verlaufen. Ambitionierte Wanderer werden sich hier allerdings bestenfalls warmlaufen. Wer mehr Wald will, muss in die Kühlung, das Ziel unserer Wanderung mit Birgit Grote. Die Tour ist ihr „Klassiker“, eine Stecke von 16 Kilometern, ein wenig Kondition sollte man also schon mitbringen. Wir verlassen Kühlungsborn in westlicher Richtung. Ein kurzer Satz zur Kunsthalle, erbaut um 1910 als Lesehalle – Jugendstil pur. Und einer zur Villa Baltic, fast zeitgleich errichtet und lange Zeit der wohl schönste Bau in Kühlungsborn – heute verrammelt und verriegelt, die ganze neobarocke Pracht liegt brach. Wechselnde Besitzer, eine lange, nicht enden wollende Geschichte, Birgit Grote erzählt sie im Vorbeigehen.

Dann umgibt uns Grün. Links der Campingplatz unter hohen Bäumen, rechts ein schmales Wäldchen und dahinter die Ostsee. Am westlichen Ortsausgang, wo früher ein Grenzbataillon der DDR stationiert war, ist ein privilegiertes Wohngebiet mit Neubauten entstanden. Die Geschichte der Grenztruppen und auch die der vielen Fluchtversuche lässt man sich am besten in einem der beiden letzten noch verbliebenen Grenztürme erzählen, er steht mitten in Kühlungsborn.

Grote folgt zunächst dem Europäischen Fernwanderweg E9. Auf einer kleinen Metallbrücke überqueren wir den Mühlenbach, der in der Kühlung entspringt. Vor uns: der Haus- und Badestrand der Kühlungsborner, ein Naturstrand, der sich bis Rerik zieht.

Seltener Strandsee
Wir machen kehrt und gehen landeinwärts, immer am Rand des Naturschutzgebietes Riedensee entlang. Der Riedensee ist einer der letzten Strandseen in Mecklenburg-Vorpommern und nur durch Dünen von der Ostsee getrennt. Landseitig wird er mit Süßwasser gespeist, welches sich mit dem Salzwasser mischt, das über einen Durchbruch zur Ostsee in den See gelangt. Den See selbst sehen wir nicht. Er liegt versteckt hinter einem breiten Schilfgürtel. „Die Kernzone ist für den Menschen tabu“, sagt Grote. Bodenbrüter wie Sandregenpfeifer, Kiebitz, Rotschenkel oder Bartmeise sollen nicht gestört werden, nur Wildschweine und ein paar Menschen nehmen darauf keine Rücksicht. Der Weg führt an einer langen Reihe alter Kopfweiden entlang. Dann beginnt der Anstieg, „ein Härtetest für die Flachländer“, scherzt Grote. Schon nach kurzer Zeit erkennen wir am Horizont die Fähre von Travemünde auf ihrem Weg nach Skandinavien. Und je höher wir kommen, desto mehr sehen wir auch vom Riedensee. Vor uns liegt das „kleinste Mittelgebirge Norddeutschlands“. Die Kühlung erstreckt sich von hier etwa 23 Kilometer nach Osten. Erst bei Hanstorf, einem Dorf südlich von Bad Doberan, läuft der Höhenzug sanft aus. Einer Sage nach wollten Riesen in grauer Vorzeit die Ostsee zuschütten, erkannten jedoch die Sinnlosigkeit
ihres Vorhabens und luden ihre Erdmassen hier ab. Die Wahrheit ist profaner: Die Kühlung ist eine Endmoräne, sagt Birgit Grote. Während der letzten großen Eiszeit ist hier ein Gletscher zum Stillstand gekommen. 1938 stand der Höhenzug Pate bei der Namensgebung von Kühlungsborn. Das größte Ostseebad Mecklenburgs entstand durch eine „Zwangsheirat“, die Dörfer Brunshaupten, Arendsee und Fulgen wurden kurzerhand zusammengelegt.

Wer einmal am Strand entlang vom Bootshafen Kühlungsborn bis zum Riedensee wandert, hat bereits 6 Km zurückgelegt.

Deutschlands höchster Leuchtturm
Dieses Kühlungsborn liegt uns nun zu Füßen. Wir haben den wohl beliebtesten Aussichtspunkt in der Region erreicht: den Leuchtturm auf dem Bastorfer Signalberg. Kein anderer Leuchtturm in Deutschland ist höher – topografisch gesehen. Denn zu den 20,8 Metern, die der Turm misst, gesellen sich die 78,8 Meter des Bergs. Und so strahlt das höchste deutsche Leuchtfeuer in einer Höhe von 95,3 Metern. Seit 1878, dem Jahr, in dem der Turm fertiggestellt wurde, warnt sein Licht die Schiffe in der Einfahrt zur Wismarer Bucht vor der Sandbank „Hannibal“.

Im Café „Valentins“ neben dem Leuchtturm ordern wir die Schoko-Sanddorn-Sahne-Torte, von der Birgit Grote bereits während des Anstiegs so geschwärmt hatte. Und dann dieser Ausblick: An guten Tagen reicht er bis Fehmarn, an besonders guten sogar bis zur Fehmarnsundbrücke. Ein Flüchtling, so Grote, ist 1971 die 48 Kilometer bis Fehmarn sogar geschwommen, die längste Strecke, die je ein DDR-Flüchtling schwimmend überwand, über 25 Stunden war er im Wasser. Unser Blick wandert nach Osten. Deutlich erkennen wir das Kohlekraftwerk von Rostock, die Warnemünder Werft und das Hotel „Neptun“. Dahinter sind, wenn auch nur schemenhaft, die Ausläufer von Fischland und Darß auszumachen.

Zeit zum Aufbruch
Denn der Leuchtturm von Bastorf ist nicht nur der höchste in Deutschland, er steht auch weiter von der Küste entfernt als jeder andere. Vier Kilometer sind es bis zur Seebrücke von Kühlungsborn, Luftlinie wohlgemerkt. Außerdem wollen wir ja auch noch ein bisschen was von der Kühlung sehen. Wir durchqueren Bastorf, ein unspektakuläres Dörfchen, das ein bisschen aus der Zeit gefallen zu sein scheint, und nähern uns dem Wald der Kühlung, über dem ein paar Milane kreisen.

Auf dem Panoramaweg
Hätten wir nicht Birgit Grote dabei, wir würden jetzt vermutlich mitten durch den Wald laufen und mit etwas Glück vielleicht beim Diedrichshagener Berg landen, der mit 129,8 Metern höchsten Erhebung der Kühlung, hoch genug auch für einen Abhörposten der Stasi. So aber gelangen wir auf einen Trampelpfad am nördlichen Waldrand mit knorrigen Heimbuchen. Der „Panoramaweg“ hat seinem Namen aus gutem Grund: Immer wieder gibt er den Blick frei auf Kühlungsborn und die Ostsee.

 

Und auch die Kühlung selbst hat ihre Reize. Kleine Wasserläufe durchziehen den Wald. Im Frühsommer bilden Buschwindröschen und Lerchensporn einen Teppich unter schlanken Rotbuchen. überhaupt ist die Buche der Baum der Kühlung, sie gedeiht auf dem lehmigen Grund am besten. An einige Bäume wuchert der Zunderschwamm, ein Pilz, den unsere Vorfahren in gemahlenem Zustand nutzten, um ein Feuer zu entfachen – es brannte dann wie Zunder. Grote macht uns auch aufmerksam auf Salomonsiegel und Vierblättrige Einbeere: „Falls Sie mal jemanden vergiften möchten, nur die Dosierung kenne ich nicht.“ Ausdauernde Zeitgenossen würden jetzt noch weitergehen bis zum Buttweg, für Grote einer der schönsten Wege durch die Kühlung. Wir aber gelangen auf Schleichwegen zurück nach Kühlungsborn. Fünf Stunden waren wir unterwegs. Und können versichern: Nach so einer Wanderung freut man sich noch ein bisschen mehr auf das Bad in der Ostsee oder den Saunagang.

Der Möwenweg
Auf dem „Möwenweg“ kann man die Kühlung auch ohne Begleitung erkunden, eine weiße Möwe weist den Weg. Der Möwenweg beginnt in Kühlungsborn, führt vorbei an der evangelischen Kirche, einem Bau aus dem 13. Jahrhundert, und dann auf dem „Buttweg“ sanft hinauf zur „Käbbelungsaussicht“, mit Blick Richtung Rostock und Warnemünde. Von hier aus geht es in den Wald und in Nord-Süd-Richtung einmal quer durch die Kühlung bis zu ihrem höchsten Punkt, dem Diedrichshagener Berg. Zurück nach Kühlungsborn auf einem Forstweg und durch Wittenbeck, einem Dorf mit alten Gehöften und neuem Golfplatz. Insgesamt etwa 15 Kilometer.

Teile diesen Artikel: