Markus Both – Revierförster im Stadtwald im Interview
Wer in Kühlungsborn die Natur sucht, muss nicht weit gehen – mitten im Ostseebad lädt der Stadtwald zu stillen Wegen, frischer Waldluft und Vogelgesang ein. Auf rund 116 Hektar bietet er nicht nur Erholung, sondern auch faszinierende Einblicke in die Arbeit der Forstwirtschaft zwischen Naturschutz, Klimawandel und touristischer Nutzung. Gemeinsam mit Revierförster Markus Both haben wir einen Blick hinter die Kulissen dieses grünen Herzens der Stadt geworfen – und erfahren, wie der Wald von heute für die Zukunft fit gemacht wird.
Der Kühlungsborner Stadtwald
Unser rund 116 Hektar großer Stadtwald gehört ebenso wie die Strandpromenade und die Ortsgeschichte zu den Besonderheiten Kühlungsborns. Viele Besucher kennen ihn als schönen Naturraum mitten in der Stadt, als Ziel für erholsame Waldspaziergänge, als Revier für Wander- oder Fahrradtouren. Zwischen „Hirschschneese“ und „Möllereiweg“, „Friedensstein“ und Blocksberg haben, was Gesänge und Geräusche betrifft, die heimischen Singvögel die
Oberhand – der Strandmöwenchor hält sich diskret zurück. Was geschieht noch Spannendes „hinter den Kulissen“? Welche Bäume sind hier zu finden, welche Tierarten, wie sieht es mit der Waldgesundheit und den Klimaveränderungen aus? Und welche Pflege brauchen solche Baumbestände? Über diese Fragen sprachen wir vor Ort mit Markus Both, dem Revierförster im Stadtwald.
Seit wann sind Sie hier im Revier schon tätig?
Nachdem ich zuvor im Revier Doberan war, bin ich seit 2018 für das Revier Diedrichshagen zuständig, zu dem der Stadtwald und auch die Kühlung gehören. Der gesamte Bereich umfasst auch Hundehagen und die Waldflächen Richtung Wittenbeck, ca. 1.000 Hektar. Vom Stadtwald sind 95 Hektar Eigentum des Landes, 20 Hektar gehören dem Ostseebad, 1 Hektar ist anderes Eigentum. Generell kann man sagen, dass er sowohl von Urlaubern als auch Kühlungsbornern gerne besucht wird und damit ein touristisch stark frequentiertes Gebiet ist.
Wie ist der Stadtwald aus forstlicher Sicht aufgestellt?
Aus Landessicht handelt es sich in erster Linie um einen Wirtschaftswald mit der entsprechenden nachhaltigen Nutzung. Basis ist eine regelmäßige Inventur, aus der sich ergibt, wie viel Holz wir nutzen dürfen. Diese festgelegten Mengen sollen dem Wald dann auch entnommen werden. Dazu werden die einzelnen Flächen z. B. mit dem Harvester durchforstet. Danach gibt es auf der jeweils bearbeiteten Fläche in der Regel eine Ruhepause von 5–10 Jahren.
Welchen Baumbestand gibt es hier?
Bei den Laubbäumen ungefähr 14 Arten, bei Nadelbäumen 8 Arten. Die Kiefern dominieren, was mit dem relativ schwachen Boden zu tun hat, der sehr viel Sand unter der Humusschicht von 10–20 cm bietet. Die Fichten wiederum kommen mit diesen hohen Temperaturen und dem weniger werdenden Niederschlag nicht so gut zurecht, anders als Kiefern und Eichenarten. Deren Pfahlwurzeln dringen tief in die Erde zum Grundwasser. Aktuell haben wir Linden und Eichen dort aufgeforstet, wo Fichtenbestände abgestorben sind. Bei den Jungbäumen setzen sich zudem Birken, Buchen und Hainbuchen
durch. Wir versuchen generell, mehr ins Laubholz zu gehen, von einem hohen Anteil mit fast 40 % Kiefern kommend, dazu noch Lärchen. Der Stadtwald soll perspektivisch mit je einer Hälfte an Nadel- und Laubbäumen entwickelt werden. Das ist ein größerer allgemeiner Wandel, der 50–100 Jahre dauern wird.
Welches sind die ältesten Einzelbäume?
Eine Stieleiche zwischen Blocksberg und in Richtung Rathaus ist stolze 190 Jahre alt. Mit 175 Jahren zählt auch ein Kiefernbestand am Sportplatz West zu den ältesten Vertretern. Das ist schon erstaunlich, denn solch alte Kiefern gibt es in Mecklenburg nur ganz selten. Die Eiche kann normalerweise 800-900 Jahre erreichen. Da wir hier aber auf einen Wirtschaftswald schauen, der ungefähr drei Jahrhunderte genutzt wurde, also kein Schutzgebiet oder Nationalpark war,
sind diese alten Bäume umso schöner. Grundsätzlich wurden die deutschen Wälder sehr stark genutzt. Die ganzen Aufforstungen, die wir sehen, sind größtenteils Nachkriegsaufforstungen. Zuvor waren große Kahlflächen entstanden, auch im Zuge der Reparationen.
Wie betrachten Sie das Thema Waldästhetik?
Dieser Begriff wird für mich viel zu wenig beachtet. Ein Wald muss aus meiner Sicht eine gewisse Ästhetik haben. Das bedeutet: Er kann ein bewirtschafteter Forst sein, muss aber, um dazu Erholungsqualität zu bieten, eine gewisse Durchmischung haben. Der Mischwald ist selbstverständlich schöner, als es ein Kiefernstangenholz sein kann, wo lauter Kiefern eines Alters viel Monotonie verbreiten. Am gegenteiligen Bild arbeiten wir auch hier: älter gewordene Kiefern, die z. B. von Ahorn und Birken umgeben sind. Und darunter wächst schon wieder die zweite Schicht mit Sträuchern. Wenn nichts Dramatisches dazwischenkommt, soll sich der Stadtwald in den nächsten Jahren so weiter entwickeln – als bunterer Wald, in dem viele verschiedene Baumarten gefördert werden.
Ein weiterer Nutzen von einem so durchmischten Wald:Widerstandsfähigkeit.
Absolut richtig. Das ist, neben der Steigerung des Erholungswertes, auch für uns als Wirtschaftsbetrieb eine Verbesserung, im Sinne der Risikostreuung. Ein Forstbetrieb kann z. B. nur Kiefern oder nur Fichten pflanzen, weil diese am schnellsten wachsen und den höchsten Ertrag haben. Dieses bisherige Denken ist vergleichbar mit Aktien: Man hat auf eine Aktie gesetzt, was gutgehen kann – das kann aber auch schiefgehen. So wirkt sich etwa das Dürrejahr 2018 erst
jetzt, also mit Jahren Verzögerung auf unsere Bestände aus. Wir wollen reine Monokulturen nicht mehr, und private Forstbetriebe rücken ebenfalls zunehmend davon ab. Heute setzt man auf verschiedene Baumarten, somit auf eine Risikostreuung. Wenn die Kiefernernte ausfällt, gibt es noch den Ahorn – und
wenn der Ahorn ausfällt, kann man auf Eichen oder Kiefern zurückgreifen. Beide Effekte hängen dabei miteinander zusammen: dass man als Forstbetrieb seine Palette des Bestandes absichert und so zugleich attraktivere, artenreichere Waldbilder schafft. Dieser Umbau kann für den Spaziergänger manchmal „wild“ aussehen, durcheinander. Das hat auch damit zu tun, dass junge Bäume viel Licht zum Wachsen brauchen und sich dort wohlfühlen, wo über ihnen kein
geschlossenes Blätterdach ist.
Ist das die anerkannte Meinung unter Forstleuten?
Das ist die Mehrheitsmeinung der Fachleute und war sie eigentlich schon immer. Es wurde zum Teil bloß anders gelebt, weil man noch nicht diesen Druck der Waldschäden hatte. Der ist jetzt da. Im öffentlichen Wald geht es in die Richtung, dass man in Aufforstungsflächen mindestens 3–4 Baumarten einsetzt. Das ist die untere Schmerzgrenze.
Was gehört in diesem Sinne zu einem bestmöglichen, gesunden Wald?
Zuallererst dieser vielfältige, mehrschichtige Bestand, der im Ergebnis mit Belastungen durch Klimaveränderungen gut klarkommt, mit verschiedenen Licht- und Schattenzonen sowie mit hohen oder eben geringen Wassermengen. In manchen Forsten werden wärmeliebende Bäume angepflanzt, etwa Esskastanie, Speierling oder Elsbeere. Allerdings kann hier auftretender Spätfrost ein Problem sein, wenn diese Bäume schon ausgetrieben haben. Und eine Tendenz ist, dass die aktuell trockenen Frühjahre solche Kaltphasen nach sich ziehen. Es gibt also, auf ganz Deutschland bezogen, keine Generallösungen oder keinen „Wunderbaum“, der alles wegsteckt. Vor 10 Jahren hat man sehr stark auf die Douglasie gesetzt, und wir sehen jetzt, dass in Hessen die Douglasienbestände absterben. Aus dem Schwarzwald wird berichtet, dass die ganz alten Tannenbestände Schaden nehmen, weil es den Bäumen wiederum zu warm ist. Deshalb diese Risikostreuung: Man muss mit vielen Baumarten arbeiten, auf Naturverjüngung setzen und aus der Praxis heraus beobachten und lernen. Jetzt nichts zu machen ist keine Lösung.
Wenn wir auf die Tiere schauen: Welche Arten gibt es im Stadtwald?
Hier sind Rehwild, Rotfüchse und Dachse vertreten, Baummarder, Steinmarder, Waschbären und Eichhörnchen. Dazu Singvögel, verschiedene Spechtarten, Waldkäuze und die Mäusebussarde am Waldrand. Und dann natürlich sehr viele Insekten. Schwarzwild lebt hier nicht, was daran liegt, dass unser Stadtwald von Bebauung umschlossen ist. Ich habe früher in Berliner Revieren gearbeitet, dort hat sich die Wildschwein-Problematik ja etabliert. Im letzten Jahr gab es eine Fledermauskartierung für Kühlungsborn, um unseren aktuellen Bestand zu erfassen.
Welche Höhlen finden Fledermäuse vor, die sie tags zum Schlafen brauchen?
Wir sollten tatsächlich verstärkt Höhlenbäume schaffen. Das ist in einer Kiefernmonotonie eher schwierig. Im Sommer sind Höhlenbäume die Quartiere, im Winter nutzen Fledermäuse leerstehende Gebäude, Keller, Schuppen, Garagen oder angebrachte Fledermauskästen.
Bei Höhlenbäumen gibt es sozusagen ein „Bündnis“ zwischen Fledermäusen und Spechten?
Mit den Spechten haben wir ganz wichtige Habitat-Arten: Denn sie „bauen“ die Höhle, die später dann von Fledermäusen, Hornissen, Wildbienen etc. genutzt werden kann. Eine ganze Kette von Arten ist daran gebunden. Das funktioniert natürlich nur, wenn der Specht eine Chance hat, sich irgendwo eine Höhle zu bauen. Konkret hier setzen wir auch an. Bäume, die z. B. nach Stürmen abgebrochen sind, lassen wir bewusst stehen oder in 5–6 Metern Höhe kappen. Falls Spaziergänger sich darüber wundern, warum diese Hochstümpfe nicht entfernt und zu Kaminholz gemacht werden: Sie erfüllen ihre Funktion als Lebensraum, auch wenn sie auf den ersten Blick vielleicht nicht so attraktiv oder „unordentlich“ wirken. Dies wird natürlich immer mit der Verkehrssicherungspflicht abgeglichen, die sich aufgrund des hohen Besucherverkehrs ergibt. So werden Baumstümpfe sehr nahe am Weg nicht stehengelassen.
Noch ein Blick nach draußen: Welche anderen Wälder haben Sie beeindruckt oder würden Sie gerne besuchen?
Wenn sich die Gelegenheit bietet, möchte ich gerne die rumänischen Karpaten und deren Urwald-Buchenwälder besuchen. Ein Wald, der mich bei meiner Exkursion mit anderen Förstern sehr beeindruckt hat, ist der „Grumsin“ in Brandenburg. Er ist heute Unesco-Weltnaturerbe und verdankt seine Unberührtheit dem Umstand, dass er fürstliches, später staatliches Jagdgebiet war. Zu DDR-Zeiten waren „normale“ Besucher nicht vorgesehen und Forstwirtschaft weitestgehend tabu. Nur deshalb sind die Buchen im „Grumsin“ so schön erhalten. Hier in MV schätze ich auch die Rostocker Heide sehr. Sie bietet aufgrund ihrer Größe das Erlebnis der Waldeinsamkeit im besten Sinne und ihre spannende Vielfalt an Flora & Fauna. (rla)